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Die Illustration zeigt eine gezeichnete Person, die ein Blatt hochhält mit drei übereinanderliegenden Ebenen. Diese stehen als Symbol für das Drei-Ebenen-Modell.

Drei-Ebenen-Modell

Teil 1 der Reihe Transformationsmodelle

Aus Sicht der Transformationsforschung „besteht die ‘Große Transformation‘ unserer Gesellschaften hin zu einem sozial und ökologisch global gerechten Zusammenleben nicht aus einer großen Transformation, sondern aus vielen kleinen sequenziell und parallel verlaufenden Transformationsprozessen in verschiedenen Subsystemen, die zu einem Wandel der gesellschaftlichen Entwicklung oder der Systemdynamik führen“ (Göpel/Remig 2014: 70). Dabei kommt es zu Ungleichzeitigkeiten und Brüchen.

Dieser Beitrag ist der erste Teil einer Blog-Reihe zu vier verschiedenen Modellen, die erklären, wie wir die sozial-ökologische Transformation voranbringen können. Die vier Modelle erklären den Wandel auf ihre je eigene Art und Weise. Aus diesem Grund werden unterschiedliche Prozesse und Hebel als zentral wahrgenommen und auf dem Weg der Transformation können verschiedene Akteur:innen unterschiedliche Rollen einnehmen. Alle Modelle beinhalten wichtige Perspektiven für zivilgesellschaftliches Engagement und zeigen spannende Andockstellen für die Bildungsarbeit und unser Engagement auf. Die jeweils unterschiedlichen Schlussfolgerungen für die praktische Anwendung fassen wir für dich zusammen. 

(Die Reihe schließt am 05.12.23 mit dem systemischen Modell von Germanwatch.)

Drei-Ebenen-Modell

In diesem Beitrag steht das Drei-Ebenen-Modell des systemischen Wandels im Fokus. Das Drei-Ebenen-Modell wurde vom Smart CSO Lab aufbauend auf dem Mehr-Ebenen-Modell von Geels und Schot (2010) entwickelt und zeigt ganz andere Ansatzpunkte für zivilgesellschaftliche Akteur:innen auf.

Das Smart CSO Lab bezeichnet sich selbst als Think Tank und Labor für soziale Innovationen. Sie entwickeln und bringen Strategien in die Praxis, die kulturelle und systemische Ursachen hinter den sozialen und ökologischen Krisen unserer Zeit adressieren.

Hier finden sich mehr Informationen zu ihrem Wandelmodell und eine Lernreise zur Großen Transformation.

 

Zentrale Aussage

Es werden drei Ebenen unterschieden, in denen Wandelprozesse stattfinden, die sich gegenseitig dynamisch beeinflussen und die nur gemeinsam einen systemischen Wandel ermöglichen.

Die Illustration stellt die drei Ebenen Nischen, Regime und Kultur als Streifen übereinander da. Zwischen den Ebenen verlaufen Pfeile, die zeigen, dass sich die Ebenen gegenseitig beeinflussen.
Copyright: Germanwatch e.V. | Illustration: Benjamin Bertram
  • Nischen (Mikro-Ebene): In den sogenannten Nischen probieren Menschen neue, nachhaltige Arbeits-, Wirtschafts- und Lebensformen aus. Es sind Keimzellen für soziale Innovationen, in denen nachhaltige Formen des Zusammenlebens und –wirtschaftens und Werte wie Solidarität und Gemeinschaft im Kleinen bereits gelebt werden (zum Beispiel Repair Cafés, solidarisch-ökologische Landwirtschaftsmodelle, Tauschläden oder Nachbarschaftsgärten). Damit diese sozialen Innovationen aus den Nischen heraus in das gesamte gesellschaftliche System wachsen können, müssen diese Vorreiterprojekte zunächst entdeckt werden, miteinander in Kontakt und in den Erfahrungsaustausch gebracht werden, sich so gemeinsam lernend weiterentwickeln und schließlich als gute, inspirierende Beispiele mehr und mehr Menschen bekannt und von einer breiten Öffentlichkeit als erstrebenswerte Lebensweisen akzeptiert werden. So entwickelten die Photovoltaik-Bastler*innen und Pionier*innen vom Solarförderverein Aachen einen Vorläufer zum bundesweiten Erneuerbare Energien Gesetz (EEG, 2000), der durch Stadtratsbeschluss 1994 als Aachener Modell zur kostendeckenden Vergütung Erneuerbarer Energien Erfahrungen sammelte.
  • Regime (Meso-Ebene): Auf der institutionellen Ebene geht es darum, strukturelle Veränderungen langfristig als neue Rahmenbedingungen voranzubringen, indem aktuelle Annahmen und Regelungen systemisch hinterfragt und durch neue ersetzt werden. Veränderungsprozesse auf dieser Ebene werden durch die gelebten Alternativen in den Nischen inspiriert. Hierbei gilt es vor allem für zivilgesellschaftliche Akteur*innen, nicht das „Spiel“ der Wirtschaft und Politik mit ihren eigenen Systemlogiken mitzuspielen und im eigenen Engagement für die Transformation daher auch nicht die alten Glaubenssätze und Werte wie Wachstum, Konsumdenken oder Eigennutz zu reproduzieren und die kurzfristigen Ziele von Politik und Wirtschaft weiter zu stärken. Stattdessen sollten politische Forderungen in sinnstiftende Narrative eingebettet sein.
  • Kultur (Makro-Ebene): Auf der kulturellen Ebene wird ein grundlegender Wertewandel in den Blick genommen, der über einen längeren Zeitraum stattfindet. Da unsere Werte von den uns umgebenden Strukturen und Lebensweisen beeinflusst werden, betont das Modell die Sichtbarmachung der Keimzellen, in denen nicht nur andere Arbeits- oder Lebensweisen, sondern auch Werte und Narrative wie Gemeinschaftlichkeit, Suffizienz und Solidarität gelebt und zum Ausdruck gebracht werden. Um diese Werte zu stärken und als neue „Kulturperspektive“ über Wachstum und Konsumdenken zu stellen, sollten zivilgesellschaftliche Organisationen und Personen, die sich für einen sozial-ökologischen Wandel engagieren, diese „nicht-eigennützigen“ Werte auch selbst in ihrem Umgang miteinander und in ihren Organisationsstrukturen (vor)leben.

Die drei Ebenen sind stark miteinander verbunden. So bedingen sich strukturelle Rahmensetzungen, die zum Beispiel eine solidarische Wirtschaftsweise ermöglichen (Meso-Ebene), und ein Kulturwandel, der den Wunsch nach beziehungsweise die Akzeptanz für solche strukturellen Veränderungen erst entstehen lässt (Makro-Ebene), gegenseitig.

Das Modell soll helfen, aus einer systemischen Denkperspektive heraus zu analysieren, auf welcher Ebene die Aktivitäten oder Strategien von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen verortet sind, welche Ebenen insgesamt mehr oder weniger aktiv bespielt werden, ob die eigene Arbeit mit den anderen Ebenen verknüpft ist oder wie diese Verschränkungen verstärkt werden können, um den sozial-ökologischen Wandel noch wirkungsvoller voranzubringen (Krause/Kirch/Narberhaus 2015).

Akteur:innen und ihre Rollen

In ihrem Handbuch Re.imagining activism stellt das Smart CSO Lab vier unterschiedliche Rollen für systemischen Aktivismus vor, die sie sinnbildlich im Englischen Acupuncturist, Questioner, Gardener und Broker nennen. Diese Rollen können von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Netzwerken eingenommen werden. Sie sind weniger für Individuen gedacht.

  • Akupunkteur:in (Acupuncturist): Ähnlich wie bei der Akupunktur geht es darum, die richtigen Ansatzpunkte zu finden. Akupunkteur:innen identifizieren günstige Gelegenheiten und entscheidende Momente, um einen Politikwechsel einzuleiten, Debatten zu wenden und Denkmuster zu verändern.

  • Fragesteller:in (Questioner): Es geht darum Paradigmen zu hinterfragen, notwendige neue Debatten zu entfachen und deliberative Räume zu eröffnen. Fragesteller:innen müssen Dialogräume eröffnen und stellen beispielsweise die Rolle des Markts und seine Grenzen in Bezug zu Commons und sozialer Gerechtigkeit in Frage. Dabei nutzen sie auch künstlerische Dialogformen wie Theater oder Musik.

  • Gärtner:in (Gardener): Spielt eine zentrale Rolle dabei, die Nischen des neuen Systems sichtbar zu machen, sie untereinander zu vernetzen, sie zu stärken. Dadurch soll die Chance erhöht werden, dass die neuen Ideen aus den Nischen transformatives Potenzial erreichen (zum Beispiel Open Source oder Kooperativen).

  • Vermittler:in (Broker): Bewegungen, informelle Netzwerke, Graswurzel-Organisationen tendieren genauso wie Menschen aus anderen Kontexten dazu, Cluster zu bilden, in denen sie ihre eigene Sprache entwickeln, Überzeugungen teilen und eigene Echokammern bilden. Vermittler*innen haben die Rolle, sinnhafte Verknüpfungen zwischen diesen Clustern zu bilden, ihre Informationen so aufzuarbeiten und zu übersetzen, dass sie auch in anderen Clustern verstanden werden und schließlich auch Lernprozesse zu schaffen, damit unterschiedliche Strategien und Denkweisen zusammengeführt werden können.

Die Rolle der Pionier:innen, die wichtige Arbeit in den Nischen machen, wird hier nicht als strategische Rolle für den Wandel angesehen.

Key-Take-Aways:

Was sind deine Take-Aways? Wenn du an deine eigene Bildungsarbeit denkst: Was erklärt das Modell und was nciht? Wenn du an dein eigenes Engagement denkst: Wofür nützt es dir dieses Modell zu kennen? Wofür eher nicht? Wir haben ein paar Pro und Kontras gesammelt, die du hier aufklappen kannst.

  • Blick auf die grundsätzlichen Ursachen globaler Krisen statt nur auf ihre Symptome
  • Möglichkeit in Alternativen zu bestehenden systemischen Rationalitäten und Denkmustern zu denken
  • Verknüpfung unterschiedlicher Formen des Engagements: Zusammenhang von Nischen-Projekten, Wertewandel und Transformation von Institutionen erkennen
  • konkrete Rollen für zivilgesellschaftliche Akteur:innen
  • Eine Einordnung der Nischen, die im Bildungsbereich als Handlungsoptionen für Aktive sehr gern angeboten werden: Nischen wie „Urban Gardening“ erhalten eine Rolle und stehen im Zusammenhang mit dem Transformationsprozess, werden aber auch nicht überbewertet, denn sie werden nur dann Erfolg haben, wenn auch auf den anderen beiden Ebenen Fortschritte erzielt werden

  • Braucht sehr viel Zeit, wenn erst ein gesellschaftlicher Wertewandel erreicht werden soll
  • bleibt vage wenn es darum geht, wie und ob sich Institutionen durch Veränderung ihrer eigenen Systemlogik beziehungsweise Wertevorstellungen transformieren lassen, baut eher darauf, dass sich durch die Stärkung der Nischen Systemwandelprozesse von selbst entfalten keine Ansatzpunkte für Umgang mit Akteur:innen, die die „neuen“ Werte ablehnen

Narberhaus, M.; Sheppard, A. (2015): Re.imagining Activism: A practical guide for the Great Transition. Berlin: Smart CSO Lab.

Dieser Beitrag stammt ursprünglich aus der Publikation Transformation gestalten lernen und wurde von Marie Heitfeld und Alexander Reif geschrieben. Die komplette Broschüre zum Download gibt es hier.

Literatur

Geels, F.W.; Schot, J. (2010): The Dynamics of Transitions. A Socio-Technical Perspective. In: Grin, J., Rotmans, J., Schot, J. (Hrsg.), Transitions to Sustainable Development: New Directions in the Study of Long Term Transformative Change. New York: Routledge.

Göpel, M.; Remig, M. (2014): Mastermind of System Change. Karl Polanyi and the “Great Transformation”. In: GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society 23(1): 70-72.

Krause, J.; Kirch, L.; Narberhaus, M. (2015): Eine Lernreise zur Großen Transformation. Reisebericht. Berlin: Smart CSOs Lab.

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