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Perspektivwechsel in Umweltpsychologie und BNE

Transformative Bildung kann mehr als Wissen vermitteln oder zu nachhaltigem Konsum motivieren. Sie kann Türen öffnen für transformatives Engagement

Warum bleibt die Reaktion der Menschen auf die zahlreichen sozialen und ökologischen Krisen seit Jahren so weit hinter der gebotenen Geschwindigkeit zum Handeln zurück? Warum handeln wir Menschen – auch und gerade in entscheidungstragenden Positionen – nicht entschlossener, um Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung global voranzubringen? Zur Beantwortung dieser Fragen bringen die Psychologie in der Forschung und die Bildungsarbeit in der Anwendung eigentlich sehr großes Potential mit, denn sie befassen sich ja mit menschlichem Lernen und Verhalten (Bamberg et al. 2021).

Und doch scheint die Wirkung dieser Disziplinen für eine nachhaltige Transformation unserer Gesellschaften bisher begrenzt. Dies mag zum einen daran liegen, dass die Effekte von Bildungsarbeit meist keine so unmittelbaren Effekte zeigen, wie zum Beispiel ein neues Gesetz. Stattdessen säht Bildung (für nachhaltige Entwicklung, BNE) an ganz vielen verschiedenen Stellen Ideen und Verständnis für eine gemeinwohlorientierte gute Zukunft für alle und ein globales Verantwortungsgefühl, ermöglicht den Austausch zur Verknüpfung unterschiedlicher Probleme und Handlungsansätze und fördert im besten Fall (politische) Kompetenzen für den Wandel. Bis diese Impulse Wirkung zeigen, können zum einen Monate bis Jahre vergehen und zum anderen sind es oft viele, kaum trennbare (Lern-)Erfahrungen zusammen, die eine Personen zum Umdenken oder Aktivwerden anregen. Und es braucht meist viele Personen zusammen, die am Ende einen Veränderungshebel umlegen.

Ein weiterer Grund dafür, dass die Psychologie in der Forschung und die Bildung in der Anwendung ihr Wirkpotential für die Transformation noch nicht voll und ganz ausschöpfen, ist jedoch die Tatsache, dass diese Disziplinen sich lange und an vielen Stellen immer noch vorrangig auf die Erforschung von Konsumverhalten fokussieren beziehungsweise versuchen, Menschen durch Sensibilisierung zu nachhaltigeren Einkäufer:innen zu machen. In der Umweltpsychologie, häufig aber auch in der BNE sowie in öffentlichen Kampagnen, Medienberichten und Sammlungen und Apps mit Verhaltenstipps wird somit individuelles Verhalten als Hindernis für die Transformation in den Mittelpunkt gestellt. Das kann auf zwei Ebenen problematisch sein.

"Es ist schwierig, schnell und angemessen auf Bedrohungen zu reagieren, die weder unmittelbar noch lokal sind. Die Fähigkeit des Menschen, diese Herausforderung zu bewältigen, hängt jedoch nicht von einer angeborenen Unfähigkeit ab, langfristig zu denken und zu handeln. Sie hängt vielmehr davon ab, ob es Menschen gelingt, Kontexte zu schaffen, die es ermöglichen, sorgfältig über die Zukunft nachzudenken und sich um andere zu kümmern, die zeitlich oder räumlich weit entfernt sind."

(eigene Übersetzung, Schmitt et al. 2020: 126)

Warum Appelle an indivudelle Verhaltensänderungen transformatives Engagement bremsen können

Erstens wird häufig der Eindruck vermittelt, dass bisher nicht umgesetzte, aber notwendige Veränderungen (zum Beispiel eine stärkere absolute Reduktion der CO2-Emissionen) vor allem durch die Natur des Menschen/die menschliche Psyche erklärbar seien. Die Analyse von sogenannten „psychological barriers“ kann zwar helfen zu verstehen, warum einem selbst Verhaltensänderungen schwerfallen. Sie kann aber gleichzeitig auch den Eindruck vermitteln, der Mensch sei „eben nicht in der Lage“ oder „nicht dafür gemacht“, große Transformationsprozesse mitunter mit eigenen Einschränkungen mitzugestalten: Alternativen erscheinen weniger wahrscheinlich, wenn der aktuelle Status Quo das Ergebnis menschlicher Defizite ist (Schmitt et al., 2020). Dies verringert natürlich die Zuversicht, etwas verändern zu können und kann auch dazu führen, dass Menschen sich eher nicht für Klimagerechtigkeit engagieren (Hamann/Reese, 2020; Ginn/Lickel, 2020).

Anstatt psychologische Verhaltensforschung vor allem dazu zu nutzen, einen unveränderlich erscheinenden negativen Status Quo zu beschreiben, könnte sich die Forschung selbst und der in der Kommunikation der Forschungsergebnisse sowie in der Bildung gesetzte Fokus stärker darauf richten, welche psychologischen Faktoren Wandelprozessen einen positiven Anstoß geben können – was uns also zu Engagement motiviert und Verhaltensänderungen ermöglicht.

Zweitens wird das Verhalten von Individuen sowohl in der BNE, als auch in der dieses Umweltverhalten erforschenden Psychologie häufig zu losgelöst von sozialen und gesetzlichen verankerten Rahmenbedingungen betrachtet. Der Fokus auf die Frage „Wie können wir Menschen motivieren, sich (innerhalb der gegebenen Strukturen) nachhaltiger zu verhalten?“ impliziert (wenn auch nicht immer bewusst) eine Individualisierung der Verantwortung für Veränderung. Wir gehen nicht davon aus, dass alltägliche Konsumentscheidungen – obwohl sie auch wichtig sind – ausreichen, um Menschenrechte in globalen Lieferketten sicherzustellen oder die CO2-Emissionen ausreichend schnell zu reduzieren. Der trotzdem weit verbreitete Fokus auf individuelles Verhalten negiert die Hindernisse für nachhaltiges Verhalten, die sich in Strukturen (zum Beispiel durch Subventionen in nicht nachhaltige Landwirtschaft, Mobilität oder Energie) manifestieren und verdeckt somit die Verantwortung, die bei Entscheidungsträger:innen und in Politik und Wirtschaft liegt. Darüber hinaus hat dies zur Folge, dass auch die Möglichkeiten für Zivilgesellschaft, sich in die Gestaltung dieser Strukturen einzumischen und diese durch kollektives Engagement zu beeinflussen in der Forschung, in der Bildungspraxis und im Journalismus sowie in Kampagnen weniger stark in den Fokus genommen werden, obwohl sie ein viel größeres Wirkpotenzial für eine sozial-ökologische Transformation mit sich bringen.

Den Blick weiten, Rahmenbedingungen in den Blick nehmen und Verknüpfungen mit Transformationsforschung stärken

Wie also können die Psychologie und die Bildungswissenschaft beziehungsweise die praktische Bildungsarbeit wirksamer zur Transformation beitragen?

In der psychologischen Forschungslandschaft ist seit etwa eineinhalb Jahren eine Debatte um genau dieses Thema entbrannt. Das akademische Journal „Frontiers of Psychology“ hat dazu im Juli 2021 eine Sonderausgabe herausgebracht und immer mehr in der wissenschaftlichen Forschung tätige Psycholog:innen versuchen, ihre Disziplin mit den Transformationswissenschaften zu verknüpfen. So sollte ein stärkerer Fokus zum Beispiel auf der Erforschung von Individuen und Gruppen als politisch handelnde Akteure gelegt oder kollektives Engagement erforscht werden (Wullenkord & Hamann, 2021). Die Untersuchung von psychologischen Prozessen in Verbindung mit den größeren, soziologischen Transformationsmodellen sollte dabei ebenfalls eine Rolle spielen. Auch eine Wirkungsorientierung bei der Entwicklung von Forschungsfragen (high impact behaviour, Relevanz für Entscheidungsträger:innen etc.) sowie die psychologische Untersuchung von Beteiligungsverfahren als Veränderungshebel für Bürger:innen und Entscheidungsträger:innen, sind wichtige Pfade für einen wirkungsvollen Beitrag der Psychologie zur Transformation.

In der praktischen Bildung für nachhaltige Entwicklung ist es ebenfalls wichtig, die Einbettung des Individuums in gesellschaftliche Strukturen und Rahmenbedingungen stärker zu thematisieren sowie an deren Gestaltung beteiligte Akteure zu analysieren. Denn ob Menschen sich im Alltag für eine nachhaltige oder nicht-nachhaltige Verhaltensweise entscheiden, hängt maßgeblich von verfügbaren Angeboten, Informationen, der gegebenen Infrastruktur und den Kosten ab. In der folgenden Tabelle stellen wir eine Auswahl von gesellschaftlichen Strukturen vor, die unsere täglichen Entscheidungen und Verhalten stark mitbeeinflussen. Transformative Bildungsarbeit kann Lernende dazu befähigen, diese Strukturen zu reflektieren und Handlungsideen zu entwickeln, um diese zu transformieren. Auch das Erlernen der für eine Einmischung und Mitgestaltung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen erforderlichen Fähigkeiten sollte stärker in BNE integriert werden. Praktische Materialien und Ideen, wie dies umgesetzt werden kann, finden sich auf diesem Blog und z.B. hier.

Die Tabelle ist Teil des Hintergrundpapiers "Transformation gestalten lernen". Sie befindet sich dort auf S. 39ff. Die komplette Publikation gibt es hier.

Illustration zum Beitrag: Benjamin Bertram

Förder:innen

Dieser Blogbeitrag ist entstanden im Rahmen des Projektes "Globale Nachhaltigkeitsziele in Zeiten von Krieg und Krisen - Motivation für die Umsetzung bis 2030 im Austausch mit dem Süden".

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Das Projekt wird gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL

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mit Mitteln des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Das Projekt wird zusätzlich gefördert durch die

Literatur

Bamberg, S.; Fischer, D.; Geiger, S. M. (2021): Editorial: The Role of the Individual in the Great Transformation Toward Sustainability. In: Frontiers in Psychology Volume 12 - 2021. URL: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.710897

Hamann, K. R. S.; Reese, G. (2020): My influence on the world (of Others): goal efficacy beliefs and efficacy affect predict private, public, and activist pro-environmental behavior. In: Journal of Social Issues 76(1): 35–53. URL: https://doi.org/10.1111/josi.12369

Schmitt, M. T.; Neufeld, S. D.; Mackay, C. M. L.; Dys-Steenbergen, O. (2020): The perils of explaining climate inaction in terms of psychological barriers. In: Journal of Social Issues 76(1): 123–135. URL: https://doi.org/10.1111/josi.12360

Wullenkord, M.C.; Hamann, K. R. S. (2021): We Need to Change: Integrating Psychological Perspectives Into the Multilevel Perspective on Socio-Ecological Transformations. In: Frontiers in Psychology Volume 12 - 2021. URL: https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.655352

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