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BNE braucht positive Zukunftsvisionen

Jeden Tag, jede Stunde – und wenn wir wollen sogar jede Minute – können wir in der U-Bahn, an den Zeitungskiosken, auf dem Smartphone oder im Live-Stream die neusten Nachrichten zum Klimawandel verfolgen: Temperaturrekorde purzeln, Starkregenereignisse nehmen zu und die Wasserversorgung gerät in vielen Regionen in Gefahr. Dass die Krisen sich häufen und Menschen auch emotional belasten, merken wir auch in der praktischen Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Das Lesen von Nachrichten ist wichtig, um auf dem Laufenden zu bleiben und Widersprüche auszuhalten. Informiert zu sein, ist auch Teil einer lebendigen Demokratie. Gleichzeitig belasten die in der Regel negativen Nachrichten viele von uns und das wird selbst zum Problem für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung. Was wir stattdessen brauchen, sind positive Zukunftsvisionen, die uns befähigen die Transformation gemeinsam zu gestalten.

Immer mehr Menschen meiden negative Nachrichten

Dass die aktuellen Trends der Mediennutzung uns als Individuen schaden, aber auch die Transformation erschwert, zeigen wissenschaftliche Studien in den letzten Jahren immer wieder.

Vor einer Woche wurde die aktuelle Reuters-Studie zur Mediennutzung veröffentlicht und das Ergebnis ist wenig überraschend: die Nachrichtenmüdigkeit nimmt weiter zu (Behre et al. 2023). Die Tagesschau berichtete am 14.06.2023, dass das Interesse an Nachrichten in diesem Jahr weiter gesunken ist. Während im Jahr 2014 noch 81% der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland gesagt haben, dass sie großes Interesse an Nachrichten haben, liegt der Wert aktuell nur noch bei 52%. Noch deutlicher sind die Werte bei den jüngeren Menschen. Weniger als ein Drittel der 18- bis 34-Jährigen bezeichnet sich selbst als äußerst oder sehr interessiert an Nachrichten. Jede zehnte Person über 18 Jahren vermeidet sogar aktiv bestimmte Nachrichten (bspw. Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Klimawandel; Tagesschau 2023).

Die Reuters-Studie zur Mediennutzung ist die deutsche Teilstudie des internationalen Reuters Institute Digital News Report 2023. Sie wurde vom Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut in Hamburg durchgeführt und basiert auf der Befragung von 93.895 Menschen in 46 Ländern auf sechs Kontinenten.

Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommt auch die JIM-Studie von 2022 (JIM steht für Jugend, Informationen, Medien). Zusätzlich zeigt sie auf, dass die Medien und Kanäle, über die Nachrichten konsumiert werden, sich selbst stark verändert haben: Während 84% der 12- bis 19-Jährigen regelmäßig (mehrmals die Woche) Videostreaming-Dienste in ihrer Freizeit nutzen, besitzen nur 36% dieser Generation ein Tageszeitungs-Abo und nur 10-15% der jungen Menschen beschäftigen sich regelmäßig in ihrer Freizeit mit Tageszeitungen (digital oder gedruckt; mpfs 2022).

Die JIM-Studie gibt der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest seit 2018 jedes Jahr heraus. Das ist eine Basisstudie zum Medienumgang der 12- bis 19-Jährigen. Die Studie ist als Langzeitprojekt angelegt, um allgemeine Entwicklungen und Trends zu dokumentieren und Strategien und Ansatzpunkte für neue Konzepte zu entwickeln.

Wir brauchen ein positives Bild von der Zukunft

Was bedeutet das nun für die Bildung für nachhaltige Entwicklung und unseren Anspruch, möglichst viele Menschen für die Transformation hin zu einer sozial-gerechten Gesellschaft mitzunehmen?

Wir brauchen Zukunftsvisionen und besonders die positiven Visionen und Utopien bestärken uns darin, uns selbst zu engagieren! Das kommt nicht von ungefähr, denn Bildung im Allgemeinen, aber auch die praktische Umsetzung von Konzepten (bspw. zur nachhaltigen Stadtentwicklung) basiert auf der Idee einer Zukunft, die sich gestalten lässt und an der die Menschen teilhaben können.

Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Utopie als auf die Zukunft gerichtete politische und soziale Vorstellung. Bei einer Utopie handelt es sich also um ein Wunschbild einer idealen menschlichen Gemeinschaft (Schubert/Klein 2020).

Sich utopische Vorstellungen von der Zukunft zu machen, ist zutiefst menschlich und setzt direkt beim Individuum und seinem Verhältnis zu anderen Menschen an: Wie wollen wir leben? Was brauchen wir dafür? Was brauchen wir nicht mehr? Die Arbeit mit Zukunftsvisionen ist außerdem an konkrete Orte und Räume gebunden: Wie können wir unser Leben vor Ort gestalten, welche Orte braucht es? Wo gibt es Partizipationsmöglichkeiten und wo Hindernisse?

Eine sozial-ökologische Transformation im gesellschaftlichen und politischen Sinne erreichen wir, wenn wir neben unserem individuellen Engagement auch dazu beitragen die Strukturen, in denen wir als Individuen handeln, nachhaltig und langfristig zu verändern.

  • Transformatives Handeln hat deshalb zum Ziel nachhaltige Rahmenbedingungen und Strukturen in unserer Gesellschaft zu verankern und die Spielregeln aktiv mitzugestalten.
  • Transformatives Lernen legt dafür den Grundstein, denn wir brauchen über das Wissen um globale Zusammenhänge und Herausforderungen hinaus bestimmte Kompetenzen und Lernerfahrungen im realen politischen Raum, um uns strukturell wirksam engagieren zu können.

Damit Lernende nicht in der Frustration über negativen Nachrichten zum Klimawandel hängen bleiben und in ein transformatives Lernen und Handeln kommen, müssen wir als Bildungsmultiplikator:innen Lernenden helfen, utopisch zu denken und Raum lassen zum Träumen. Im besten Fall entstehen daraus ganz von selbst Visionen, die uns befähigen die Transformation gemeinsam zu gestalten. Die Fragen, die wir uns als Multiplikator:innen in der BNE sowie auch unseren Zielgruppen stellen müssen, sind also ganz konkret:

  • Welche Zukunftsvorstellungen habe ich selbst und welche gibt es in der Gruppe mit der ich arbeite?
  • Welche Bedeutung kommt der Arbeit mit Zukunftsbildern in der politischen Bildung, in der Bildung für nachhaltige Entwicklung und für das globale Lernen zu?
  • Ist eine Bildung ohne Zukunftsvisionen überhaupt vorstellbar?
  • Welche Formate und Methoden brauchen wir, um eine gemeinsame Vision einer sozial-gerechten Zukunft zu entwickeln?

Methoden und Tools

Um in unserer täglichen Bildungsarbeit nicht nur die lähmenden Krisen und ihre häufig angsteinflößenden Folgen zu besprechen, thematisieren und spielen wir auch bei Germanwatch mit positiven Zukunftsvisionen. Dazu haben wir in den letzten Jahren zahlreiche Schnipsel von Zukunftsbildern mit Lösungsansätzen für die Große Transformation entwickelt. Daraus entstand die Idee, ein großes Bild zu kreieren, in dem es vor lauter Ideen für die Zukunft nur so "wimmelt".

Das Germanwatch-Wimmelbild zeigt eine Zukunft, in der es allen Menschen und der ökologischen Mitwelt gut geht. Wie immer auf einem bunten tollen Wimmelbild, gibt es viel zu entdecken - Alltägliches, Kurioses, Witziges und Utopisches.

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Du kannst das Wimmelbild dazu verwenden, alleine oder mit einer Gruppe Zugänge zu einer positiven Zukunft zu entwickeln und vielleicht auch schon erste Ansatzpunkte für den eigenen Handabdruck zu finden.

Link zum digitalen Germanwatch-Wimmelbild 

Interview mit Benjamin Bertram (Illustrator des Wimmelbildes)

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Wie man in der Bildungsarbeit ganz konkret mit positiven Zukunftsbildern arbeiten kann, zeigt mein Kollege Alexander Reif in der Germanwatch-Broschüre “Zukunftsbilder in der Bildung”. Er stellt entsprechende Methoden für die Arbeit mit Zukunftsbildern vor. Darunter sind auch Ansätze, wie man das Germanwatch-Wimmelbild in der eigenen Bildungsarbeit einsetzen kann.

Link zur Broschüre

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Screenshot von der Toolbox (https://realutopien.info/toolbox/)
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Eine recht umfangreiche Sammlung an Methoden zur Entwicklung von Realutopien stellt auch der Verein Reinventing Society e.V. zur Verfügung. Ziel der Infothek für Realutopien ist es, Menschen Lust auf eine regenerative Zukunft zu machen.

Die Visualisierung von Zukunft spielt sowohl in den Bildungs-, Sozial- und Politikwissenschaften als auch in der Geographiedidaktik schon lange eine Rolle. Es gibt so viele Tipps, die wir Dir mitgeben könnten, damit Du Dich einlesen und inspirieren lassen kannst, aber wir beschränken uns an dieser Stelle auf eine kleine Auswahl aus den Bereichen Transformationsforschung und Geographie und möchten betonen, dass diese Liste nicht vollständig ist und es auch nicht sein kann. Im Gegenteil: Wir brauchen täglich neue Ideen, wie wir die Transformation in einer ungewissen Zukunft gestalten können.

Im Bereich der Transformationsforschung gibt es mittlerweile einige für die breitere Öffentlichkeit aufbereitete Bücher. Wir möchten drei empfehlen:

1. Göpel, M. (2020): Unsere Welt neu denken. Eine Einladung. Ullstein Verlag (Berlin).

Prof. Dr. Maja Göpel ist Politökonomin, Transformations- und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin. In ihrem Buch fordert Sie in verständlicher und leidenschaftlicher Sprache dazu auf einen neuen Blick auf die Welt einzunehmen.

2. Urner, M. (2019): Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren. Droemer HC Verlag (München).

Die Neurowissenschaftlerin Dr. Maren Urner (Dr.) erklärt in ihrem Buch anschaulich, warum wir vor lauter Pop-Up-Nachrichten die eigentlichen Nachrichten übersehen und welche Auswege es gibt.

3. Wurmb-Seibel, R. (2022): Wie wir die Welt sehen: Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien. Kösel-Verlag (München).

Die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel beschreibt in ihrem Buch entlang verschiedener Episoden und praktischen Tipps aus ihrem eigenen Leben, wie wir einen gesünderen Umgang mit Nachrichten in unserem Leben gestalten können, der es uns erlaubt, aktiv zu bleiben, anstatt in eine apathische Hilflosigkeit des Krisenkonsums zu rutschen.

Auch die Geographie ist ganz selbstverständlich an Konzepten für die zukünftige Entwicklung orientiert. Die lösungsorientierte Geographiedidaktik ist jedoch ein eher jüngeres Forschungsfeld. In diesem Bereich arbeiten Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen explizit an einem Konzept, das nicht die Probleme in den Vordergrund des Lehr-/Lernprozesses stellt, sondern die Gefühle von Frustration und Resignation der Schüler:innen aufgreift. Ziel ist es die Schüler:innen durch kooperative und kollaborative Lösungsansätze zum Mitwirken zu motivieren und zu befähigen.

Weiterführende Literaturtipps:

Ein Beispiel dafür, welch große Bedeutung Zukunftsvorstellungen auch in der internationalen Zusammenarbeit und für das globale Lernen haben, ist das kollaborative Forschungsprojekt “Future Rural Africa: Future-making and social-ecological transformation”. Das wird seit einigen Jahren von den Universitäten Bonn und Köln koordiniert. Beteiligt sind daran auch das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE), das Bonn International Center for Conflict Studies (BICC), und mehrere afrikanische Universitäten. In 14 Teilprojekten untersuchen Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen, unter anderem aus der Geographie, die komplexen Zusammenhänge der sozial-ökologischen Transformation im ländlichen Afrika. Eine wichtige Frage für alle Projekte ist es, welche Rolle Zukunftsvisionen spielen und wie Regierungen und Bevölkerungen die Zukunft des ländlichen Afrika (mit)gestalten können.

Utopien werden bisher leider viel häufiger in Büchern aufgegriffen als in Filmen. Zwei tolle Dokumentarfilme aus den letzten Jahren wollen wir trotzdem mit Dir teilen:

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Zeit für Utopien (Kurt Langbein | 2018 | 98 min | ab 14 Jahre)

Der Film begleitet Menschen, die auf der Suche nach nachhaltigen Alternativen zur Konsumgesellschaft sind. Er schaut dafür auf verschiedene Bereiche, zum Beispiel auf der Arbeit, im Wohnumfeld oder in der Landwirtschaft.

Link zum Film

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Tomorrow - Die Welt ist voller Lösungen (Mélanie Laurent & Cyril Dion | 2015 | 118 min | ab 0 Jahren)

Tomorrow ist ein Film über die Lösungen, die wir brauchen, um den globalen ökologischen Kollaps aufzuhalten. In Frankreich, wo der Film produziert wurde, ist er mit einem César als Bester Dokumentarfilm ausgezeichnet worden.Zu dem Film gibt es auch pädagogisches Begleitmaterial.

Link zur Webseite des Films

Wenn Du noch mehr Dokumentationen für den Umwelt- und Klimaschutz suchst, können wir Dir diese Mediathek vom Internationalen Kompetenzzentrum für Umweltdokumentarfilme ans Herz legen. Toll ist auch, dass das Kompetenzzentrum besondere Angebote für Schulen (bspw. Schulkino oder digitale Schulaktionen) macht. Mehr Infos dazu gibt es hier.

Wenn Du weitere Dokumentationen oder einen Spielfilm kennst, der positive Zukunftsvisionen zeigt, schreib uns gerne in die Kommentare! Wir sind gespannt!

Illustration zum Beitrag: Benjamin Bertram

Förder:innen

Dieser Blogbeitrag ist entstanden im Rahmen des Projektes "Globale Nachhaltigkeitsziele in Zeiten von Krieg und Krisen - Motivation für die Umsetzung bis 2030 im Austausch mit dem Süden".

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Das Projekt wird gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL

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mit Mitteln des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Das Projekt wird zusätzlich gefördert durch die

Literatur:

Behre, J., Hölig, S.; Möller, J. (2023): Reuters Institute Digital News Report 2023: Ergebnisse für Deutschland. In: Arbeitspapiere des Hans-Bredow-Instituts 67. Verlag Hans-Bredow-Institut (Hamburg). URL: https://doi.org/10.21241/ssoar.86851

mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (2022): JIM-Studie - Jugend, Informationen, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. URL: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2022/JIM_2022_Web_final.pdf 

Schubert, K.; Klein, M. (2020): Utopie. In: Das Politiklexikon. Bundeszentrale für politische Bildung. Dietz Verlag (Bonn). URL: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/18386/utopie/ 

Tagesschau (2023): Reuters-Studie zur MediennutzungNachrichtenmüdigkeit nimmt weiter zu, 14.06.2023. URL: https://www.tagesschau.de/inland/reuters-institute-digital-news-report-100.html

Kommentare

Carina (Gast) 23. Juni 2023
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Auch toll ist die Doku "2040 - Wir retten die Welt!" (2019)
Katja Thiele 26. Juni 2023
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Die hatten wir gar nicht auf dem Schirm. Vielen Dank Carina!

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