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3 junge Menschen malen auf die Weltkugel, wie sie sich die Zukunft vorstellen. Aus einem Megaphon kommt der Spruch "zusammen Zukunft gestalten"

Nicht überall wo Jugendbeteiligung drauf steht, ist sie auch drin

Erfahrungen mit guten und weniger guten Jugendbeteiligungsprojekten

Jugendbeteiligung ist wie eine Wundertüte. Man weiß leider selten, was man bekommt. So fühlt es sich für mich an, wenn ich heute an Jugendbeteiligung denke. Ich bin Sofie und begleite derzeit mit einem Praktikum bei Germanwatch das Jugenbeteiligungsprojekt #MitmischenNRW. Während meines Praktikums habe ich die Chance, unterschiedlichste Jugendbeteiligungsformate kennen zu lernen. In diesem Blogbeitrag will ich euch einen Einblick in die Formate geben, meine Erfahrungen reflektieren und Kriterien für gute Jugendbeteiligungsprojekte formulieren.

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Mit unserem Projekt #MitmischenNRW ermöglichen wir Engagierten aus Nordrhein-Westfalen, sich aktiv in die Nachhaltigkeitspolitik ihres Landes einzumischen. Das Land Nordrhein-Westfalen will junge Menschen in seine Nachhaltigkeitsstrategie einzubeziehen. Genau das wollen wir mit #MitmischenNRW ermöglichen: echte Jugendbeteiligung, die gesehen, gehört und von Entscheidungsträger:innen ernst genommen wird. 

Kern des Programms ist, den Austausch zwischen jungen Menschen und politischen Entscheidungsträger:innen zu fördern. 

Mehr zu #MitmischenNRW erfährst du hier

Warum junges Engagement ein Schlüssel für eine lebendige Demokratie ist, zeigt Aylin in diesem Beitrag

Download der Jugendforderungen zur NRW-Nachhaltigkeitsstrategie

Im Rahmen meines Praktikums im Bildungsteam von Germanwatch wird mir erst bewusst, was Jugendbeteiligung in der Nachhaltigkeitspolitik bedeutet. Ich lerne unterschiedliche Formate kennen und merke, dass der Begriff „Jugendbeteiligung“ einen weiten Deutungsspielraum lässt. Es ist wie ein Griff in eine Wundertüte - Du weißt vorher nicht, was du bekommst. Mal werden junge Menschen als nettes Bonbon in einem bestehenden Projekt einbezogen, während in anderen Projekten Jugendbeteiligung wirklich gelebt wird und sich in allen Handlungen widerspiegelt. Eines ist sicher: Es geht in der Nachhaltigkeitspolitik um die Zukunft junger Menschen, daher ist die Einbindung ihrer Perspektive essentiell.

Beteiligung ist nicht gleich Teilhabe

Im Dezember habe ich meine erste Erfahrung mit einem Beteiligungsformat für Bürger:innen zur Nachhaltigkeitspolitik auf Bundesebene gemacht: Zusammen mit meiner Kollegin sitze ich im mäßig gefüllten Veranstaltungssaal. Der Moderator eröffnet die Konferenz und verschafft sich einen Überblick über die Teilnehmenden. Er lässt die Menschen nach Interessensgruppen aufzeigen. Er fragt nach Menschen aus Verwaltung, Kultur und Vertreter:innen von Unternehmen. Als er nach Teilnehmende aus der Zivilgesellschaft fragt, strecken meine Kollegin und ich die Arme in die Luft und schauen uns um. Eine Hand voll Menschen zeigt auf, viele sind wir nicht. Es ist ernüchternd, dass so eine kleine Gruppe die Zivilgesellschaft repräsentiert. Die Breite der Gesellschaft ist auf dem Forum nicht repräsentiert. Dabei lebt Demokratie durch die Beteiligung von Bürger:innen (LpB BW 2023). Ein junger Engagierter kommentiert die Verteilung der Gäste später wie folgt: „Beteiligung bedeutet nicht gleichzeitig auch Teilhabe.“ Er deutet an, dass auch ein Partizipationsformat für Barrieren haben kann, die Menschen ausschließt. Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. (Mehr dazu findest du im Wörterbuch der Teilhabe beim EUTB).

Ein Beispiel von dem man lernen kann

Das Beteiligungsformat des Bundes hat großes Potenzial sich in puncto Teilhabe weiterzuentwickeln. Um Beteiligung und Teilhabe an politischen Maßnahmen zu stärken, ist es wichtig über die Nachhaltigkeitspolitik des Bundes in den Dialog zu treten. Bürger:innen bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen einzubinden, stärkt zudem das Vertrauen in das politische System  (BMBF 2016). Gerade deswegen sollten derartige Formate besonders auch junge Menschen einbeziehen und diese erreichen, beispielsweise durch eine breitere Bewerbung auf Social Media Plattformen. Dazu gehört es auch eine Reihe von weiteren Bedingungen mitzudenken, die für junge Menschen wichtig sind: Es braucht Veranstaltungszeiträume, an denen auch schulpflichtige Bürger:innen teilnehmen können. Jugendbeteiligung muss erschwinglich sein. Jede:r soll die Möglichkeit bekommen, Kosten für Anfahrt und Unterkunft rückerstattet zu bekommen. Das gilt besonders für Studierende, Auszubildende, und junge Arbeitnehmer:innen. Wenn Beteiligung bedeutet, dass ich mein Sparschwein plündern muss, werden Menschen ausgeschlossen. Und nicht zuletzt kann auch die (An-)Sprache ausschließen. Damit möglichst viele Bürger:innen aller Altersgruppen an demokratischen Prozessen teilnehmen können, muss Politik in einfacher Sprache kommunizieren.

Gelebte Jugendbeteiligung mit Germanwatch

48h Zukunft erleben

In meinem Praktikum bei Germanwatch erlebte ich aber auch gelungene Formate der Beteiligung. Ich nahm am sogenannten Handabdruck-Aktionswochenende unter dem Motto 48h Zukunft teil und lernte das Verständnis von Jugendbeteiligung kennen, das im Bildungsteam bei Germanwatch vertreten wird. 

Jungen Menschen wie mir wurde beim Aktionswochenende Handwerkszeug für ein nachhaltiges und wirksames Engagement vermittelt. Wir durften uns ein eigenes Handabdruck-Projekt überlegen und lernten dieses sinnvoll zu strukturieren und zu planen. Mir wurde bewusst, wie wichtig es ist, auch Meilensteine des Engagements gebührend zu feiern. Das Format brachte außerdem Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen Deutschlands zusammen. Ich stellte fest, wie lähmend meine pessimistische Sicht auf die Nachhaltigkeitspolitik für mich ist und, dass ich damit nicht alleine bin. 

Eine Teilnehmerin des Handabdruck-Aktionswochenendes betrachtet die Visualisierung einer utopischen Großstadt.

Eine Teilnehmerin des Handabdruck-Aktionswochenendes betrachtet die Visualisierung einer utopischen Großstadt. 

Copyright: Germanwatch e.V. | Foto: Katja Thiele

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Der Handabdruck zeigt auf, was jede:r von uns als positive Spur in unserer Welt hinterlassen kann und steht für gesellschaftliches und politisches Engagement in Bezug auf Nachhaltigkeit. Handabdruck-Engagement zielt darauf ab Strukturen und Rahmenbedingungen so zu verändern, dass nachhaltige Lebensstile für möglichst viele Individuen leichter, naheliegender und preiswerter werden. 

Hier erfährst du mehr über das Konzept

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Zu sehen sind Menschen, die auf verschiedenen Wegen einen Berg besteigen wollen. Alle haben das gleiche Ziel, nehmen aber unterschiedliche Wege.
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Um das Konzept des Handabdrucks sichtbarer zu machen und besonders junge Menschen zwischen 16 und 32 Jahren für die Transformation hin zu einer sozial und ökologisch gerechten Gesellschaft zu gewinnen, veranstaltet das BNE-Team von Germanwatch vom 10.-12.11.2023 ein Handabdruck-Aktionswochenende. 

Die Teilnehmenden wurden dort zu transformativem Engagement ermutigt, dabei unterstützt eine positive Vorstellung der Zukunft zu entwickeln und ins Handeln zu kommen. Ziel war es, dass jede:r Teilnehmende aus dem Wochenende mit einer Idee für ein Handabdruck-Projekt geht, das sie im folgenden halben Jahr verfolgen will.

Wo Jugendbeteiligung anfängt - und nicht aufhören sollte

In einer utopischen Zukunft wird Jugendbeteiligung gelebt, auch über den Tellerrand hinaus. In den 48h Zukunft während des Aktionswochenendes konnte ich und die anderen Teilnehmenden genau diese Utopie erleben. Das Wochenende war für alle Teilnehmenden transparent gestaltet mit genug Raum für unsere eigenen Ideen. Wir wurden über die Ziele und Herangehensweise des Wochenendes informiert, aktiv in die Gestaltung eingebunden und konnten anonymes Feedback geben. Über die Workshopphasen hinaus gestalteten wir als Teilnehmende auch die Abende mit und organisierten die Mahlzeiten selbstbestimmt. Zusätzlich gab es die Möglichkeit, uns - auch nach dem Aktionswochenende - weiter mit der Gruppe auszutauschen. Die 48 Stunden in der Gruppe sind nun zwar vorbei, ich nehme aus dem Wochenende jedoch neue Inspiration und Motivation sowie den Mut zu utopischem Denken mit.

#MitmischenNRW als Pilotprojekt für Jugendbeteiligung auf Länderebene

Die Hauptaufgabe meines Praktikums ist die Planung im Jugendbeteiligungsprojekt #MitmischenNRW. Hier bekomme ich nun die Perspektive aus der Koordinierung eines Jugendbeteiligunsprojektes mit. #MitmischenNRW macht den Namen zum Programm: Junge Menschen aus NRW beteiligen sich an Debatten zu Nachhaltigkeitspolitik, um dort mitzumischen, wo über ihre Zukunft entschieden wird. Sie analysieren und diskutieren über die Nachhaltigkeitsstrategie NRWs mit Wissenschaftler:innen, Verwaltung und Politiker:innen. Der Wille, sich in den Nachhaltigkeitsstrukturen des Landes einzumischen und etwas zu verändern, ist da. Die Möglichkeit zur Beteiligung stärkt die jungen Menschen und macht Hoffnung auf ein gutes Leben in der Zukunft. Es ist ein Pilotprojekt, was über NRW hinaus ermutigt und einen enormen Handabdruck hinterlässt. Elena, eine junge Engagierte, erläutert hier den Hintergrund und ihre Erfahrungen mit #MitmischenNRW.

Eine Stimme aus der Projektgruppe

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Petra, ein Mitglied aus der Jugend-Projektgruppe

Petra Balje ist Teil der Projektgruppe #MitmischenNRW

Foto: Petra Balje
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„Jugendpartizipation geht auch anders. Zuvor dachte ich, dass Politik für die ältere Generation gemacht wird. Doch durch #MitmischenNRW hatte ich die Möglichkeit, gezielt Forderungen zu stellen, nämlich im Bereich von Generations- und Klimagerechtigkeit. Zudem fühle ich mich selbstbewusster und gestärkt durch meine Projektgruppe, denn dieses Herzensprojekt verspricht mir etwas mehr Hoffnung mit Blick auf die Zukunft!“ 
 
 - Petra Balje, 18 Jahre alt

Wenn du Lust hast, kannst du dir in unserem Video von der Mitmischen-Konferenz im Juni 2023 weitere Stimmen zur Jugendbeteiligung anschauen.

Do's und Don'ts für wirklich gute Jugendbeteiligung

Wie setzen wir Projekte mit gelungener Jugendbeteiligung um? Was sind Kennzeichen für eine zukunftssichere Beteiligung? Und was sollten wir unbedingt beachten? Hier meine Liste an Do‘s und Don'ts für Jugendbeteiligungsprojekte:

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  1. Jugendbeteiligung wird (aus-)genutzt, um sich damit zu  schmücken.
  2. Die Veranstalter:innen machen Werbung für das Beteiligungsformat dort, wo junge Menschen es nicht mitbekommen.
  3. Die Veranstaltungsorte sind nicht barrierefrei und schwer mit dem ÖPNV erreichbar.
  4. Die Beteiligten haben keine Möglichkeit, das Programm mitzugestalten.
  5. Das Beteiligungsprojekt wird nicht evaluierten.
  6. Die Ergebnisse der Evaluation fließen nicht in die zukünftige Arbeit ein, sondern landen im Archiv.
  7. Die Teilnehmenden haben keine Möglichkeit, (anonymes) Feedback zu geben.

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  1. Junge Menschen werden in allen Phasen eines Prozesses eingebunden – bei Planung, Umsetzung und Reflexion.
  2. Das Beteiligungsangebot legt von Anfang an fest, wie der Beteiligungsprozess evaluiert wird.
  3. Die jungen Menschen werden dort abgeholt, wo sie sind - unabhängig von ihrem Bildungsstand, Alter, Herkunft oder sozio-ökonomischem Status.
  4. Das Projekt hat eine konkretes Ziel und alle Beteiligten wissen, welche Ergebnisse sie bei der Teilnahme erwarten können.
  5. Ziele und Ablauf des Formats werden den Beteiligten transparent kommuniziert.
  6. Das Format bezieht die Beteiligten bei der Evaluation mit ein.
  7. Die Fachkräfte begegnen den jungen Engagierten auf Augenhöhe und fungieren als Kompliz:innen.

Auf in 365 Tage Zukunft

Jugendbeteiligung ist ein Kinderrecht und die Basis für eine gerechte und nachhaltige Zukunft. Wer schon in jungen Jahren lernt, mit Verantwortung umzugehen, Erfolge gebührend zu feiern und bei Misserfolgen wieder aufzustehen, baut Resilienz auf und brennt nicht aus. Junge Menschen müssen mitmischen dürfen und ihre Wirksamkeit spüren und dafür reichen nicht 48 h Zukunft. Nur gemeinsam können wir uns auf den Weg in 365 Tagen Zukunft machen und eine Transformation zu einer sozial und ökologisch gerechten Gesellschaft tragen. Ich beschließe, dass Jugendbeteiligung transparent verpackt sein sollte. Denn wie sollen wir Erfolge feiern, wenn wir nicht wissen, was wir erreichen können? 

Mein Fazit ist deshalb klar: Wundertüten sind aufregend, aber für gute Jugendbeteiligung kontraproduktiv.

Literatur

BMBF (2016): Grundsatzpapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Partizipation. URL: https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/bmbf_grundsatzpapier_partizipation_barrierefrei.pdf?__blob=publicationFile&v=2

EUTB (o.J.): Wörterbuch der Teilhabe: Partizipation. URL: https://www.teilhabeberatung.de/woerterbuch/partizipation

lpb BW (2023): Bürgerbeteiligung - Mach mit! URL: https://www.lpb-bw.de/beteiligung#c62226

Illustration zum Beitrag: Christoph Budde

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